Die Normung von Funktionalitäten und Schnittstellen bildet die Basis für die Interoperabilität verschiedener Systeme und verschiedener Produkte von verschiedenen Herstellern. Daher leisten Normen einen wichtigen Beitrag für einen freien und fairen Wettbewerb und für eine florierende Wirtschaft. Vor 30 Jahren, im Jahr 1988 wurde von der Europäische Union das Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI = European Telecommunications Standards Institute) gegründet, um in einer Zeit, als staatliche Telekommonopole aufbrachen und auch in der Telekommunikation der freie Wettbewerb Einzug hielt, die Grundlagen für einen blühenden Telekommunikationsmarkt zu legen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, und besonders die Normen für GSM, die aus einer kleinen Arbeitsgruppe hervorgingen (GSM war ursprünglich die Abkürzung für „Groupe Spécial Mobile“), erlangten bereits Mitte der 1990er Jahre eine weltweite Bedeutung. Für den Einsatz von GSM als Bahnfunksystem wurden unter dem Namen GSM-R (GSM-Rail) zusätzliche Funktionen, wie etwa Gruppenruf oder funktionale Adressierung genormt, und bereits 1997 verpflichteten sich 32 europäische Bahnverwaltungen zur Einführung von GSM-R.
Während in öffentlichen Netzen nach GSM (2G) bereits UMTS (3G) und seit einigen Jahren LTE (4G) eingesetzt wird und 5G bereits am Horizont dämmert, sind die Bahnen auf GSM‑R geblieben. In den 20 Jahren seit der Einführung von GSM-R hat sich das Umfeld von GSM-R grundlegend geändert.
- Öffentliche Netzbetreiber beginnen in den nächsten Jahren, GSM außer Betrieb zu nehmen. Damit stellen auch Hersteller die Produktion von GSM Systemen und damit auch von GSM-R ein. Die Industrie garantiert GSM-R Support nur noch bis 2030. Bahnfunksysteme müssen also schon vorher umgestellt sein.
- Für die Standardisierung von UMTS wurde 3GPP (3rd Generation Partnership Project) gegründet, eine Zusammenarbeit von ETSI und den Standardisierungsinstituten aus den USA, aus, Japan, Korea und aus China. UMTS ist ein System der 3. Generation (daher der Namen 3GPP), mittlerweile wurde auch 4G (LTE) und 5G von 3GPP standardisiert, und auch die GSM Spezifikationen wurden zu 3GPP transferiert Der Namen 3GPP wurde beibehalten. Die Standardisierung umspannt nun wirklich den ganzen Erdball.
- Mitte der 1990er Jahre hat sich GSM als Bahnfunksystem gegen TETRA (TErrestrial Trunked Radio) durchgesetzt. Seit 2014 gibt es eine Zusammenarbeit zwischen der TCCA (TETRA and Critical Communications Association) und 3GPP. Damit werden typische TETRA-Funktionen, wie etwa sicherheitskritischer Gruppenruf, von 3GPP standardisiert.
Bahnfunksysteme basieren auch heute noch auf GSM-R (oder auf noch älteren Analogsystemen). Mit der Standardisierung des Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) wird ein Generationensprung von 2G auf 4G plus TCCA Funktionen, man könnte sagen, auf 4,5G vollzogen. Dabei gibt es eine intensive Zusammenarbeit der Internationalen Eisenbahnunion (UIC = Union internationale des chemins de fer), von ETSI von 3GPP und der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA = European Union Agency for Railways).
UIC legt die Anforderungen an FRMCS fest (in UIC sind nur Bahnverwaltungen vertreten). Basierend auf den Anforderungen werden in ETSI genaue Use Cases beschrieben. Diese werden bei 3GPP als Change Requests eingebracht, und 3GPP prüft, ob die Use Cases mit bereits standardisierten Funktionen erfüllt werden können, oder ob eine zusätzliche Standardisierung notwendig ist. Eine zusätzliche Standardisierung kann dann im Rahmen von 3GPP oder auch von ETSI erfolgen (für 3GPP sind Bahnen nur ein kleines Nischensegment).
Weitgehend herrscht die übereinstimmende Meinung, dass FRMCS auf der Funktechnologie LTE (Long Term Evolution) aufsetzen wird, dass IMS (IP Multimedia Subsystem) als Vermittlungstechnologie eingesetzt werden wird, und dass bahnspezifische Anwendungen auf der Applikationsebene mit MCPTT (Mission Critical Push-to-talk) gelöst werden. Aber der Teufel schlummert im Detail. Zum Beispiel: Wie schaut die FRMCS Architektur unter dem Blickwinkel von Bearer Independent Communication aus? Wie schaut funktionale Adressierung bei IP-Adressen aus? Wie schauen Schnittstellen zu externen Systemen (z.B. zu Dispatchersystemen) aus? Wie schaut die Interoperabilität des IP-basierenden FRMCS zu GSM-R und zu anderen legacy-Systemen aus? Diese und noch viele andere Fragen sind noch offen.
Auf Grund der Erfahrungen, die team sowohl im Bereich Bahnkommunikation wie auch im Bereich Mobilkommunikation hat, arbeitet team im Auftrag von Frequentis aktiv im Rahmen des ETSI Rail Technology Committee an der Standardisierung von FRMCS mit. Vier Mal im Jahr gibt es ein 4-tägiges Meeting (neben zahlreichen Telephonkonferenzen), und beim ersten Meeting dieses Jahres in Jänner war team wieder vertreten, um gemeinsam mit Eisenbahngesellschaften (SBB, DB, SNCF, RATP, Televerket), mit Herstellern (Nokia, Huawei, Kapsch, Triorail, Funkwerk, Iskratel) und mit der UIC und ERA, die Standardisierung von FRMCS voranzutreiben.